“Die Letzten ihrer Art” - Interview mit den alten Recken des NCC.

"Möglichst wenig Worte bis es hinten knallt." _Siegmar Zenge 

Zum Komerschabend zum 60. Jubiläum des Carneval in Niederdorla 2018 waren drei Präsidenten des Niederdorlaer Carneval Clubs auf der Bühne: Jens Rauch, Ludwig Götz und Erhard Ludwig (von links nach rechts).
Zum Kommersabend zum 60. Jubiläum des Carneval in Niederdorla 2018 waren drei Präsidenten des Niederdorlaer Carneval Clubs auf der Bühne: Jens Rauch, Ludwig Götz und Erhard Ludwig (von links nach rechts).

Am Sonntag, dem 4. Dezember 2022, trafen sich drei alte Recken des Niederdorlaer Carneval Club (NCC) mit dem Autoren dieses Textes zum Interview über die alten Zeiten. Mit dabei waren Siegmar Zenge, Günter Szameitat und Hans-Jürgen “Hansi” Böhm.


Günter war aktiv von 1973 bis 1995, Siegmar von 1977 bis 2007, Hansi von 1975 bis heute und noch weiter.


Was ist der Unterschied zwischen dem Fasching heute und früher?


Siegmar Zenge: Das war eine ganz andere Zeit. Es gab die Hilfsmittel noch nicht, die es heute gibt, wie moderne Mikrofone. Die Lichtorgel haben wir per Hand geschaltet. Die Technik ist ein wichtiger Punkt beim Fasching.


“Ich trage Stiefel, keine Schuhe,

ich bitte hier im Saal um Ruhe.”


Siegmar sagt: “Ich war immer konzentriert auf vier bis fünf Nummern im Programm.” Die Texte hat er zusammen mit anderen geschrieben. Immer wieder erwähnt er Heidi Ludwig. Nach der Kirmes ging es los. Da wurde begonnen, das Programm der NCC-Spatzen vorzubereiten. Man traf sich, um Geschichten auszutauschen. Dabei wurde auch mal eine halbe Stunde auf eine Idee des anderen gewartet. Siegmar hat oft vorgearbeitet, hatte sich Texte ausgedacht und geschrieben. Von ihm kam der “Knetsch”. Heidi kannte die politischen Zusammenhänge. Deshalb kam von ihr die politische Kritik in den Texten. “In meinen war keine Politik, eher Klamauk, was zum Nachdenken.” Worüber nachdenken? Etwa über das was Siegmar als Bauer Piepenbrink zum Besten gab:


“Im Stalle standen Kühe, die hatten alle einen Namen. Die erste hieß Kuh Pernikus. Der Abstand von der ersten zur letzten Kuh war acht Meter weit, deshalb nannte ich sie Kuh Weit.”


Seit 1977 war Siegmar beim Fasching auf der Bühne, zuerst sang und spielte er im Trio. Helmut Freiboth hatte Siegmar eingeladen, weil er Schifferklavier spielen konnte. Mit dabei war Winfried Frey.


Das Trio ist nur ein Jahr jünger als der NCC. In den über 60 Jahren bestand das Trio meist aus mehr als drei Musikern. Zum 60. Jubiläum des Vereins sangen sieben Recken. Rechts im Bild: Günter Szameitat.
Das Trio ist nur ein Jahr jünger als der NCC. In über 60 Jahren bestand das Trio meist aus mehr als drei Musikern. Zum 60. Jubiläum des Vereins sangen sieben Recken. Rechts im Bild: Günter Szameitat. 

Immer wieder schwärmt Siegmar vom Bühnenbild Karl Neubauers. “Die Figuren und die Perspektive.” Siegmar sagte das quasi mit drei Ausrufezeichen. Er zeigte ein Foto vom Bühnenbild zum Motto FKK am Stausee mit weiblichen Personen. Alle bewunderten die Perspektive. 


Siegmar erzählt: “Wenn Karl das Bühnenbild malte, standen wir immer rum und haben dumme Sprüche gemacht.”  Einmal stieß Siegmar einen Farbtopf um. Im gemalten Nachttopf war ein Fleck. Karl zückte seinen Pinsel und machte aus dem Klecks einen Goldfisch im Nachttopf. 


Zwischendurch funken Erinnerungen hoch: “Die Ausfahrten des Vereins waren wichtig, genauso wie das Programm”, sagt Siegmar. 

Bei seinen Figuren legte Siegmar Wert darauf, nichts zweimal zu machen. Und Siegmar wollte auf der Bühne immer eine Figur sein, nicht der private Siegmar. Deshalb sprach er verschiedene Dialekte auf der Bühne.


“Wer mal in meinen Garten schaut,
der seinen Augen kaum noch traut,
so weit das Auge auch nur schaut,
hat Siegmar Knoblauch angebaut.”

Wichtig war ihm auch, die Büttenreden zu reimen. “Für einen guten Reim musste auch mal ein Wort wegfallen, was grammatisch wichtig wäre. Das musste ersetzt werden.”

Wie erzeugt man die Hämmer in der Rede? “Möglichst wenig Worte, bis es hinten knallt.” 

Wichtig war Siegmar der Rhythmus seiner Reime.


“Der Platz zum Schreiben wird jetzt enge.
Tschüss macht´s gut, sagt Siegmar Zenge.”

Zum 60. Jubiläum des Carneval in Niederdorla gab Siegmar Zenge wieder die Sieglinde. Während seines Auftritts hätte man eine Stecknadel fallen hören. Alle wollten hören, was er sagte. Sichtlich ihren Spaß hatten vor dem Auftritt “Sieglinde” und Ulrich "Ulli" Schill, der ebenso legendäre Finanzminister des NCC.
Zum 60. Jubiläum des Carneval in Niederdorla gab Siegmar Zenge wieder die Sieglinde. Während seines Auftritts hätte man eine Stecknadel fallen hören. Alle wollten mitbekommen, was er sagte. In der Gaststube ihren Spaß hatten “Sieglinde” und Ulrich "Ulli" Schill, der ebenso legendäre Finanzminister des NCC, der traditionell auch das Tor für den Einmarsch öffnet.

Günter Szameitat fing mit dem Trio an, beim Fasching aktiv mitzumachen. Vorher war er aber schon beim Jugendfasching dabei in der “Grünen Linde”. Das war die Kneipe Ecke Hauptstraße/Sperlingstraße, die in den späten DDR-Zeiten der Schulhort war.


Die unverheiratete Dorfjugend durfte nicht mitmachen beim großen Fasching. Dort durften nur Verheiratete rein. Deshalb machte die Jugend ihren eigenen Fasching in der “Grünen Linde”. “Nur, wenn in der Schenke Große Pause war, durften wir auf den Saal”, erzählt Günter. Das war bis Anfang der 1970er-Jahre so, meinen Günter, Siegmar und Hans-Jürgen “Hansi” Böhm.


Als Günter ins Trio kam, begann er mit Helmut Freiboth, Winfried "Winnie" Frey zu spielen. Dazu trommelte Wolfgang Lange. Günter spielte Gitarre. 


Günter kam zum Fasching, weil seine Frau im Damenballett getanzt hatte. Er wurde gefragt, “Was kannste? Was kannste machen?” Seine Antwort brachte Günter “automatisch” in den Verein.


Günter, Hansi und Siegmar erinnern sich noch an den “Alten Fasching''. Der sei anders gewachsen als der heutige. Auch gab es einen anderen Zusammenhalt. Da sind die drei alten Recken sich einig. “Wir sind die letzten ihrer Art.”


Günter: “Wir haben vom Verein auch mal ein Schwein geschlachtet und herrliche Kutschfahrten unternommen.” Die drei Recken geraten ins Schwärmen. “Das waren damals andere Zeiten, wir hatten nicht so viele technische Möglichkeiten.” Wichtiger sei der Enthusiasmus gewesen.


Günter nennt ein “schönes Beispiel”: Die allerersten Orden seien noch selbst gebastelt gewesen. Gerald Tischer und Helmut Freiboth waren die Kreativen. Die Orden wurden nach jedem Auftritt verliehen. Aber hinterher wieder eingesammelt. Die Kostüme seien früher selbst gestaltet worden.


Geld für die Ausrüstung wurde besorgt durch das Ausfahren von Einkellerungskartoffeln gegen Bezahlung von der LPG. [Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft]. Das hatte gut geklappt. Im Dorf ging der Spruch rum vom “Millionenclub”.


Siegmar fasst zusammen: Zum Thema “alter Fasching” und “neuer Fasching” wird wohl immer gelten, was Heidi Ludwig sagte:


“Es wird ein anderer Fasching werden, Hauptsache, es geht weiter.”


Da sind die drei alten Recken sich einig.


Zum “Alten Fasching” zählt: Bis 1975 wurde jedes Jahr ein neuer Elferrat gewählt. Der alte Elferrat schlug neue Leute vor. Danach wurde ein Verein gegründet mit Vorstand und so weiter.


Hans-Jürgen “Hansi” Böhm flog 2017 als erster Vogteier zum Mars im Auftrag des Niederdorlaer Carneval Clubs.
Hans-Jürgen “Hansi” Böhm flog 2017 als erster Vogteier zum Mars im Auftrag des Niederdorlaer Carneval Clubs. Über 40 Jahre vorher hatten Kosmonauten des NCC bereits den Mond erobert.

Warum macht man Fasching?


Günter: “Ich bin in die Rolle reingerutscht, weil es Spaß macht.” Und weil ihm gesagt wurde: “Wir brauchen eine Gitarre!”

Hansi: “Weil es Spaß macht und die Geselligkeit da ist. Das ist unsere Freude.”

Siegmar: “Bei mir war es reine Selbstdarstellung. Ich wollte mir beweisen, für etwas gut zu sein. Diese Bestätigung habe ich gefunden.” Das Programm wurde auf Siegmar zugeschnitten. Auf seine Pausen, die er brauchte, um sich umzuziehen. 


Das Trio mit Günter sorgte nach der Pause wieder für Stimmung und holte das Publikum ins Programm zurück. 


War früher das Programm besser?


Die Chöre im NCC machten Musical. Andere Vereine haben das schon früher gemacht. Deshalb haben wir das auch gemacht. Das Programm wurde schon immer jedes Jahr gesteigert. Da waren sich alle drei Recken einig. 


Günter erinnert sich: “Anfangs saß der Elferrat auch auf der Bühne. Das endete, als für die Reise zum Mond der Laufsteg gebaut wurde.” Günter erinnert sich auch an den Bau der berühmten Bütt. Er hatte beruflich Zugang zu dem Fass. Das wurde in zwei Hälften gesägt. Die Hälfte ohne Loch ging zum Karnevalsverein Görmar, die Hälfte mit dem Loch kam nach Niederdorla. In das Loch kam eine rote Glühlampe. Drum herum malte Karl Neubauer das lachende Narrengesicht.” Hansi meinte: “Der Bühnenmaler wurde früher mit Bratwürsten bezahlt.” 


Hansi erinnert sich weiter: In einem Jahr mussten die Büttenreden vorher beim DDR-Bürgermeister eingereicht werden. Siegmar lacht: Dabei wurde alter Stuss abgegeben. Auf der Bühne wurden andere Reden gehalten. Trotzdem gab es nie Probleme.


Nun sangen Günter, Hansi und Siegmar: “Wir wollen mal übern Zaun, nur mal schaun, ohne abzuhauen.” Das war das legendäre Lied der NCC-Spatzen. Das wurde Jahre vor der Grenzöffnung gesungen und erzeugt immer noch Gänsehaut. 


Was macht den NCC aus?


Günter und Hansi: Wir haben unser Lied. Das sagt alles aus: “Wir sind alle, alle eine Familie.” Manche gehen, manche kommen dazu, aber es bleibt eine Familie. 

Siegmar: “Die Geselligkeit und der dumme, dumme Knetsch.” Das letztere brüllt er auf Siegmar-Art. Und haut auf den Tisch.


Donnerwetter!


Das Interview führte Michael Zeng. Fotos: Michael Zeng



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